Wenn der Lebensunterhalt zur großen Belastung wird

Benefizgala „Binzener Runde“ in der „Mühle“ begeistert nach zwei Jahren Pause die Gäste

Von Silke Hartenstein

Bei der traditionellen Eröffnung der Benefizaktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ des Verlagshauses Jaumann wurde sehr deutlich: So wichtig wie heute war diese Hilfsaktion noch nie. „Inflation – Wenn der Lebensunterhalt zur großen Belastung wird“, lautet das Thema der diesjährigen Spendenaktion.

Erstmals war die Benefizgala „Binzener Runde“ im Hotel Restaurant „Mühle“ nach zwei Jahren Corona-Zwangspause wieder möglich. Für Marco Fraune, seit Januar dieses Jahres Chefredakteur und neuer Vorsitzender des Vereins „Leser helfen Not leidenden Menschen“, war es eine Premiere. „Ich wechsle damit die Rolle vom zu verwöhnenden Gast hin zum Gestalter dieses Abends“, sagte Fraune zur Eröffnung. Ihm zur Seite stand Christiane Guldenschuh, Redaktionssekretärin und neue Geschäftsführerin von „Leser helfen“. Das Duo hat den Stab übernommen von Guido Neidinger, dem langjährigen Vorsitzenden von „Leser helfen“, und Uta Schröder, jahrzehntelange Geschäftsführerin der Hilfsaktion. Beide haben den wohlverdienten Ruhestand angetreten. „Leider konnten sie heute Abend nicht teilnehmen, doch sicher gebührt ihnen noch einmal ein kräftiger Applaus für ihren Einsatz“, sagte Fraune – und großer Applaus folgte auf dem Fuße.

Bei der Benefizaktion 2021 spendeten Privat- und Geschäftsleute insgesamt 130 000 Euro für Menschen, die unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie leiden. Wie Fraune ausführte, habe er im Sommer bei der Auswahl der Schwerpunktsetzung der diesjährigen Aktion noch überlegt, ob zum Jahreswechsel das Thema Inflation überhaupt noch drängend sein würde. Leider habe sich die Situation mittlerweile verschärft: „Zehn Prozent Inflation bedeutet speziell für Menschen, die es nicht so dicke haben, dass von zehn Euro ein Euro an Kaufkraft weniger in der Geldbörse ist.“

Inflation trifft ganz besonders Familien

Im 43. Jahr der Benefizaktion ist die Inflation sogar deutlich höher für Menschen mit niedrigerem Einkommen. Im September 2022 lagen die Energiekosten um 43,9 Prozent und die Kosten für Nahrungsmittel um 18,7 Prozent höher als im Vorjahr, sagte Marion Dammann, Landrätin und Schirmherrin der Benefizaktion. Das führe dazu, dass nicht nur Empfänger von Sozialhilfe und Aufstocker ein Problem hätten, sondern auch Berufstätige mit geringem und mittleren Einkommen. Gerade der Grundbedarf von Familien mit Kindern, wie ausgewogene Ernährung oder der Kauf von Schulheften, lasse sich kaum verringern und führe rasch zu finanziellen Engpässen. Da bleibe am Monatsende nichts mehr übrig für kleine Vergnügen, bestenfalls reiche es für die Ratenzahlungen. Da bei Empfängern von Sozialhilfe die Stromkosten in den Regelsätzen enthalten seien, bliebe bei steigenden Strompreisen weniger Geld zum Leben übrig. Und die Einmalzahlungen seien eben nur einmalige Zahlungen. Zur wachsenden Zahl der zum Einkauf im Tafelladen Berechtigten kämen schrumpfende Restbestände der Supermärkte, da auch Supermärkte sparen müssten.

Ab Neujahr werde das Wohngeld erhöht und der Kreis der derzeit 2100 Wohngeldberechtigten im Landkreis verdreifacht. Um all die Neuanträge rasch bearbeiten zu können, brauche es bei herrschendem Fachkräftemangel mehr qualifiziertes Personal, und zwar in allen Landratsämtern Deutschlands. Immerhin habe der Landkreis Lörrach hierfür per Eilentscheid bereits fünf zusätzliche Fachkräfte eingestellt. Wie weit das Bürgergeld ab Neujahr mit seinen höheren Regelsätzen helfen werde, wisse man derzeit nicht.

Es sei gerade für Arbeitende und auch Rentner besonders bitter, plötzlich auf Sozialhilfeleistungen angewiesen zu sein, doch Dammanns Appell lautete: „Beraten kann ich nur den, der sich auch traut, zu uns zu kommen.“

Ansturm auf die Tafelläden

Die Erzählung eines von Armut Betroffenen vor den 120 geladenen Gästen fiel aus. Aus Scham sagte er kurzfristig ab und gab stattdessen Marco Fraune vorab ein Interview. Der 69-Jährige ist von Altersarmut betroffen, arbeitet ehrenamtlich im Tafelladen und schilderte seine Erfahrungen mit Ausgrenzung und der fehlenden Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe. Es täte weh, am Lebensmittelregal vorbei zu gehen und sich viele Lebensmittel nicht leisten zu können. Die Gasheizung bleibe bei ihm bislang aus. Seine Freunde, ehemalige Textilarbeiter, müssten jetzt als Rentner täglich schauen, wie sie über die Runden kommen. Es gebe einen wahren Ansturm auf die Tafelläden und viele Neukunden, die sich schämten, jetzt dort einkaufen zu müssen. Die Politik, so der 69-jährige, müsse unbedingt die Regelsätze erhöhen. Er dankte den Wohlfahrts- und Sozialverbänden. Seine Weihnachtswünsche: Endlich Frieden in der Ukraine und dass auch Armen und Kranken ein schönes Weihnachtsfest ermöglicht wird.

„Wir spüren in unseren sozialen Diensten, dass Menschen Hilfe und Beratung in Anspruch nehmen müssen, die nie dachten, dass sie das mal brauchen“, sagte Gudrun Schemel, Geschäftsführerin des Kreis-Caritasverbands beim Interview mit Fraune. Die Menschen, die zu ihnen kämen, seien besonders betroffen von den höheren Lebensmittelpreisen. Karin Racke, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks des Landkreises Lörrach, stellte fest, seit Februar seien bei der Caritas nahezu viermal mehr Kundenausweise für Tafelläden ausgestellt worden. Die Folge: Der Einkauf im Tafelladen musste von vormals dreimal pro Woche auf einmal pro Woche begrenzt werden. Schemel befürchtet, dass immer mehr Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können und obdachlos werden: „Das ist die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Zudem beträfen die Kostensteigerungen auch Caritas und Diakonie. Auch sie müssten Räume heizen, etwa für Hospizarbeit oder die Betreuung alter Menschen, auch sie bräuchten Strom und mehr Mitarbeiter infolge des höheren Beratungsbedarfs. Racke und Schemel stellten fest: „Wir kommen in dieser Krise nur durch Gemeinsinn weiter.“ In diesem Sinne gab es für die Caritas einen Scheck über 5000 Euro von der Binzener Gönnerrunde. Zu ihr gehören Verleger Dr. Hansjörg Jaumann, Dr. Hans-Jürgen Weh, Anwaltskanzlei Seidler & Kollegen, Jörg Hieber, Antonio Guida, Dr. Christian und Heidi Frey, Wolfgang, Bernhard und Frank Würzburger sowie Dr. Manuela und Peter Brudy. 5000 Euro für die Diakonie spendeten die Sparkassen Markgräflerland und Lörrach-Rheinfelden.

Vier-Gänge-Menü und unterhaltsame Magie

Nun wäre es wenig zielführend gerade für Menschen, die weniger Begünstigten helfen können, angesichts dieser großen Krise in Depression zu verfallen. Somit gehörten zu diesem Abend auch Austausch und Geselligkeit beim hervorragenden Vier-Gänge-Menü im großen Gartenzelt der „Mühle“ und der Auftritt des berühmten Schweizer Magiers „Magrée“. Mit großem Charme und ganz erstaunlichen Zaubertricks sorgte „Magrée“ für Heiterkeit und Staunen in der Runde der geladenen Gäste. Er wolle den Gästen das Funkeln der Kinderaugen zurückbringen, stellte er fest. Spätestens mit dem Bühnen-Schneegestöber und dem ausgelassenen Ballontrick zum Mitspielen war ihm dieses Kunststück voll und ganz gelungen – und so mündete die Stimmung am Ende des Abends in Optimismus.

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